Die Vertreibung

Nach Kriegsende rächten sich die Tschechen grauenhaft an der deutschen Zivilbevölkerung für die Zerschlagung ihres Staates und das an ihnen begangene Unrecht. Um die, nach ihren Angaben etwa 70.000, nach anderen Schätzungen etwa 10.000 Tschechen zu rächen, die Opfer des nationalsozialistischen Regimes geworden waren, mordeten sie im Laufe einiger Monate ungefähr eine Viertelmillion Deutscher auf meist bestialische Weise hin; um sich für die Einkerkerung von etwa 70.000 Tschechen zu rächen, sperrten sie zigtausende Menschen in ihre Ghettos und Konzentrationslager. Unmittelbar nach Kriegsende begann die sogenannte "wilde Austreibung", begleitet von Plünderungen, Prügeln, Morden und Vergewaltigungen. Zur Erkennung und zum Zeichen der Demütigung mußten die Deutschen eine weiße Armbinde tragen, oft versehen mit einem "N" (Nemec - Deutscher).

In wenigen Monaten wurde mehr Blut vergossen als hier in zweitausend Jahren geflossen war, und mehr zerstört, als Kriege, Feuer und selbst die Zeit in einem Jahrtausend vernichtet hatten. ... [Viele Deutsche vertrieb man] aus ihren Häusern und Wohnungen, pferchte sie in Lager oder in überfüllte Ghettos zusammen, entzog ihnen die Lebensmittelzuteilung, ließ sie schwerste, meist sinnlose Arbeiten verrichten und behandelte sie wie völlig rechtlose Sklaven. Um nur einige der ärgsten Greuel zu erwähnen, sei auf den Todesmarsch der Brünner Deutschen verwiesen, bei dem in wenigen Tagen viele tausend Menschen zugrunde gingen (Schätzungen gehen von mindestens 8.000 Todesopfern aus), auf die Massenhinrichtungen im Gebiet von Kaaden und Saaz und auf die Mordorgie von Aussig, die nach einer, wahrscheinlich von tschechischer Seite angestifteten Explosion in einem Munitionslager bei Aussig entfesselt wurde. Man hat den deutschen jahrelang die Entführung der Kinder von Lidice als unmenschliche Barbarei vorgeworfen. Von den Tschechen wurden Kinder jeden Alters erschlagen, zu Tode gequält, in die Elbe geworfen, dem Hungertode und den Lagerseuchen preisgegeben. Im Protektorat, vor allem in Prag, wütete monatelang blinder Terror. Nach tschechischen Berichten wurden am 9. Mai Deutsche auf offener Straße als lebende Fackeln verbrannt. 27.000 "Selbstmorde" von Deutschen in 14 Tagen wurden amtlich gemeldet. Tausende deutscher Verwundeter wurden aus den Krankenhäusern auf die Straße geworfen und wie tolle Hunde erschlagen. Hunderte wurden in ihren Betten erschossen. Krankenschwestern wurden ermordet, tausende deutscher Frauen Abend für Abend von Russen und Tschechen geschändet. Das Masaryk-Stadion, in dem viele tausend Deutsche zwei Monate lang unter freiem Himmel gefangen gehalten wurden, war der Schauplatz unbeschreiblicher Untaten. Deutsche Knaben, die man als Hitlerjungen hier eingesperrt hatte, wurden am hellen Tage und öffentlich gemartert, Frauen vor den Augen von Kindern vergewaltigt, zahllose Menschen jeden Alters von den Wachen niedergeschossen, und die Leichen schwammen tagelang in Latrinen. Die Ruhr brach aus. Und nur die Gefahr, von diesem Lager aus die ganze Stadt zu verseuchen, veranlaßte das Volk Masaryks endlich, diese seinen Namen tragende Schinderhütte aufzulassen. Gegenüber dieser Hölle verblassen die Leiden der Gefangenen in den berüchtigten Prager Gefängnissen, in Pankrac, auf dem Karlsplatz, in der Bartolomäusgasse und in Rúzyn. Wenn es aber etwas gab, das noch entsetzlicher war als das Masaryk-Stadion, dann war es die "Kleine Festung" in Theresienstadt, in der eine nicht abzuschätzende Zahl von Deutschen auf raffinierteste Weise gequält und planmäßig, aber in Monate lang sich hinziehenden Schlächtereien, hingemordet wurde. Sogenannte tschechische Partisanen, in Wahrheit also Gangster, die vor dem 9. Mai 1945 kaum je eine Waffe oder gar ihr Leben eingesetzt hatten, erschienen in verschiedenen sudetendeutschen Orten, überfielen auf Verabredung in den frühen Morgenstunden bestimmte Wohnviertel und trieben die Deutschen wie Schlachtvieh zusammen. [Teilweise] Binnen zehn Minuten mußten die Häuser geräumt sein, man durfte nichts mitnehmen, als was man auf dem Leibe trug, und wurde doch einige male durchsucht. Im Fußmarsch, von den "Partisanen" eskortiert, wurde die Menschenherde an die Grenze getrieben und mußte sich in der russisch besetzten Zone selbst weiterhelfen. Die Konferenz von Potsdam bestätigte den Tschechen [wie auch den Polen] das Recht zur Austreibung, doch wurde verlangt, daß sich die "Ausweisung", wie es nun hieß, in "humaner und legaler" Weise vollziehe. Es dauerte beinahe ein halbes Jahr, ehe dieser "Transfer" von zwei Millionen Menschen [bezogen auf die nach der "wilden Vertreibung" noch im Sudetenland lebenden Deutschen] in Gang kam. Von einer geordneten Überführung der Ausgewiesenen und von einer humanen Abwicklung war auch jetzt nicht die Rede. Unter steter Verletzung der ohnehin räuberischen Dekrete Beneš´ wurden die Ausgetriebenen [fast] aller ihrer Habe beraubt und in Viehwagen als [oftmals] zerlumpte Bettler nach Deutschland überstellt, wo sie, wie man hoffte, bald völlig zugrunde gehen würden." *183) "Die Vertreibungsaktionen wurden meist sehr kurzfristig angekündigt. 20 - 30 kg Handgepäck durften in der Regel mitgenommen werden [Teilweise auch 40 - 50 kg, jedoch mußten alle Wertsachen zurückgelassen werden]." *184)


*183) Franzel, Emil: a.a.O., S. 411 ff.
*184) Neumann, Hans: Geschichte für morgen, Band 4 - Zeitgeschichte, Frankfurt/Main 1985, S. 14

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