Der Zweite Weltkrieg

Fast ein Jahr nach der Befreiung der Sudetengebiete entzündete Adolf Hitler den II. Weltkrieg, die bis dahin größte Tragödie Europas. Im Herbst 1938 dachte jedoch niemand daran, "daß man ein Jahr später in einen furchtbaren Krieg ziehen und daß die Sudetendeutschen die Befreiung und den wirtschaftlichen Aufstieg mit einem Übermaß an Blut und Tränen bezahlen würden. Grausam traf die Hand der neuen Herren auch die meist seit Jahrhunderten im Sudetengebiet ansässigen Juden, die einst in der liberalen Ära politisch treu zur deutschen Sprache gestanden hatten und denen da und dort der tschechische Mob in der Badenizeit die Fenster eingeschlagen und die Firmenschilder heruntergerissen hatte, weil bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts Deutscher und Jude für den tschechischen Nationalismus das gleiche war. *177) "

"Die Lage der Tschechen auf dem nationalen Gebiet in den Jahren 1939 bis 1945 war, zusammenfassend gesehen, dadurch gekennzeichnet, daß bei Befolgen der zahlreichen, oft freilich sehr weitgehenden Gebote der deutschen Besatzung und bei politischer Abstinenz nur geringe persönliche Gefahr für Leib und Leben bestand. Als Ausnahme ist vor allem die Zeit des Heydrich-Attentats hervorzuheben. Vom tschechischen Standpunkt aus war jedoch Widerstand gegen diese Gebote nicht nur legitim, sondern - und hier liegt einer der Schlüssel zur antideutschen Psychose nach 1945 eigentlich sogar nationale Pflicht. Er wurde jedoch nicht in dem Maße wie zum Beispiel in Polen oder Frankreich geleistet." *178)

Bereits seit 1939 sind Pläne der tschechischen Exilregierung zur Vertreibung der deutschen Bevölkerung in den Sudetengebieten herangereift. Seit 1941 gingen in New York diesbezüglich Gerüchte über einen allgemeinen "Beneë -Plan" um. Da aus den ersten Äußerungen nicht klar hevorging, ob bei den geplanten Maßnahmen nur die Sudetendeutschen oder auch andere nichttschechische Minderheiten gemeint seien, wandte sich der Direktor des Jüdischen wissenschaftlichen Institutes in New York an den Außenminister der tschechoslowakischen Exilregierung Jan Masaryk, um eine Klarstellung für die jüdische Minderheit in der Tschechoslowakei herbeizuführen. In dem Antwortschreiben Jan Massaryks wird ausdrücklich festgestellt, daß sich die Austreibung nur auf die Sudetendeutschen beziehen soll. Tatsächlich wurden jedoch 1945 viele Juden, soweit sie sich bei der Volkszählung des Jahres 1930 zur deutschen Muttersprache bekannt hatten, keineswegs im Sinne dieser Zusagen Jan Masaryks, die dieser mit ausdrücklicher Genehmigung Beneë s gemacht hatte, behandelt. Vielfach bekamen diese Juden, welche noch aus den deutschen Konzentrationslagern befreit werden konnten oder aus dem Exil in die Tschechoslowakei zurückkehrten, ihren früheren Besitz nicht mehr zurück und waren gezwungen auszuwandern, da ihnen die Tschechoslowakei keine Lebensmöglichkeit bot. *179)

Die Zustimmung zur Austreibung der Sudetendeutschen, heute würde man "ethnische Säuberung" sagen, war von den Großmächten nicht ohne Schwierigkeiten zu erlangen. Beneë zeigte sich jedoch in der Verwendung der Mittel nicht wählerisch. Bei einer Unterredung mit dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt am 12. Mai 1943 erwähnte er den Umstand, daß die Russen dem "Transfer" der Sudetendeutschen zugestimmt hätten. 17 Tage später, am 29. Mai, wurde in London dem dortigen sowjetrussischen Botschafter Bogomolow dargelegt, daß die Amerikaner mit dem Transfer einverstanden seien und daß die tschechische Exilregierung nunmehr auch die offizielle russische Zustimmung erwarte. Aber erst am 6. Juni ist die russische Zustimmung eingetroffen, jene Zustimmung, mit der Beneë bei seiner Aussprache mit Präsident Roosevelt bereits am 12. Mai operiert hatte. Von hier wird deutlich, daß Beneë im Hintergrund einer der Drahtzieher ist, auf den die Beschlüsse zur Austreibung der Ostdeutschen in Jalta und Potsdam zurückgehen. *180) Von der Austreibung wurden auch Opfer der Nationalsozialisten nicht verschont, da es keinen Beweis für gutes Tschechoslowakentum liefert, daß jemand unter den Nazis gelitten habe, mißhandelt wurde, daß sein Vermögen beschlagnahmt oder, daß er in ein KZ engesperrt worden wäre". Man müsse selbstverständlich solche Fälle "menschlich lösen". Derartige Lösungen "hängen jedoch nicht mit der Transferierung zusammen"! *181)

Jaksch versuchte noch, die Weltöffentlichkeit aufzuklären und gegen das Transferkonzept zu mobilisieren. Die Bedeutung blieb jedoch gering ... Die tschechoslowakische Exil-Regierung verfügte über Presse, Rundfunk, Geld, militärische Machtmittel und berechtigtes Vertrauen auf den Sieg der eigenen politischen Vorstellungen. Sie erhob den Anspruch, eine demokratische Einrichtung zu sein, und gab gleichzeitg wahllos Mordbefehle. Das zweite tschechoslowakische Exil hatte politisch einen großen Erfolg: Der nationale Einheitsstaat wurde um den Preis verwirklicht, jahrhundertelange menschliche Beziehungen wahllos zu zerreißen. *182)


*177) Franzel, Emil: a.a.O., S. 400
*178) Habel, Fritz Peter; Kistler, Helmut: Das "Reichsprotektorat B/ouml;hmen und Mähren", in: Informationen zur politischen Bildung, a.a.O., S. 23
*179) vgl. Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung sudetendeutscher Interessen (Hrsg.): a.a.O., S. XVI f.
*180) vgl. ebd., S. XVIII
*181) vgl. Habel, Fritz Peter; Kistler, Helmut: Das zweite tschechoslowakische Exil, in: Informationen zur politischen Bildung, a.a.O., S. 27
*182) vgl. ebd., a.a.O., S. 28

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