Die Reformation in Böhmen

Die erste Stadt Böhmens, in der evangelisch gepredigt wurde, war Joachimsthal (1521). Wie Luther zu den Bergleuten, so standen diese zu ihm. Die armen aber aufgeschlossenen Arbeiter in den Bergwerken waren die natürlichen Sturmtruppen einer Reformation, die sie nicht nur auf religiösem, sondern auch auf sozialem Gebiet herbeizuführen wünschten. Sie blieben der Reformation auch noch treu, als längst aus Österreich kommend die Gegenreformation eingesetzt hatte. Die Austreibung zahlreicher Bergleute mit ihren Familien ist eine der Ursachen für den Niedergang des Bergbaus in den böhmischen Randgebirgen. Schicksalhaft wurde das Bekenntnis der Bergleute zur Reformation aber auch dadurch, daß die Tschechen ihre Reformation ja längst hinter sich hatten. Als in Joachimsthal die Reformation siegte, war Hus schon über hundert Jahre tot. Als die Tschechen ihrem Reformator anhingen, bildeten die Deutschen die Gegenkraft, denn für sie war die Zeit noch nicht reif. Als die Deutschen von der Gegenreformation bedroht wurden, waren die Tschechen schon wieder katholisch und standen abermals gegen die Deutschen. Die bedrohte Kirche gebrauchte nun das katholische tschechische Volk gegen die evangelischen Deutschen, wie sie hundert Jahre vorher die katholischen Deutschen gegen hussitische Tschechen gebraucht hatte. Es war ein Zufrüh und Zuspät, das die beiden Völker daran hinderte, in einem Raum friedlich miteinander zu leben. Eine gleichzeitige Reformation hätte die Deutschen und die Tschechen gegen die Obrigkeit geeint und zueinander geführt. Hus, Luther und die Gegenreformation sind die Etappen jener geschichtlichen Entwicklung, die im Laufe von nur zwei Jahrhunderten alle Hoffnungen auf eine Einigung der Völker des Böhmerlandes zunichte machte. *36) Die tschechischen Stände traten allerdings ab 1522 in hussitischer Tradition zum größten Teil der Reformation bei.

Aufgrund des Habsburger/Jagiellonen-Erbvertrages (1515) fielen Böhmen, Mähren und Schlesien 1526 unter Ferdinand I. an Habsburg. Die weitere Entwicklung mit ihrer Verquickung von religions- und verfassungspolitischen Elementen bewegte sich parallel zu der in Deutschland: Anfängliche Schwächung, als Verbündete des Schmalkaldischer Bund, durch den Sieg Karls V.. von Mühlenberg (1547) Stabilisierung der Lage durch den Augsburger Religionsfrieden (1555), der auch für Böhmen galt. Karl V. war genötigt, Kompromisse einzugehen, was einem Verlust kaiserlicher Macht gleichkam. Das lutherische Bekenntnis wurde anerkannt, die Reichsstände konnten über das Bekenntnis ihrer Untertanen entscheiden. Zu weiteren Beschneidungen kaiserlicher Macht kam es während den Kriegen mit den Türken (1593 - 1606). Zwischen Kaiser Rudolf II.. und seinen Brüdern kam es zu Streitigkeiten wegen einer geeigneten Politik gegenüber den Türken. Da die Streitenden Hilfe bei den Ständen suchten, konnten diese weitgehende Zugeständnisse erlangen. *37)


*36) vgl. Schreiber, Hermann: a.a.O., S. 208 ff. und Geiss, Imanuel: a.a.O., S. 180
*37) vgl. Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen: Kleiner Atlas zur deutschen Territorialgeschichte, 2., erweiterte Auf., Bonn 1991, S. 89 und Geiss, Imanuel: a.a.O., S. 180 f.

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