Der 30-jährige Krieg

Die doppelte Tendenz der Habsburger zur Gegenreformation und zum Absolutismus, zunächst in ihren Erblanden (1588/96), löste den großen Konflikt mit den böhmischen Ständen aus. *38) Am 23. Mai 1618 warfen böhmische Protestanten zwei kaiserliche Statthalter aus der Prager Burg durchs Fenster in den Burggraben ("Zweiter Prager Fenstersturz"). Den Statthaltern geschah wenig, weil sie auf einem Misthaufen landeten. Aber Deutschland versank in einem Meer von Blut und Tränen. *39)

Gegen Ferdiand II.., der 1617 zum König von Böhmen gekrönt worden war und 1619 deutscher Kaiser wurde, brach ein Aufstand aus, der sich zum 30-jährigen Krieg auswuchs. Unter der Erwartung einer streng gegenreformatorischen Politik wählten die böhmischen Stände 1619 Kurfürst Friedrich von der Pfalz zu ihrem König. Mit Unterstützung Bayerns und der katholischen Liga wurde das böhmische Heer 1620 in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag geschlagen. Der Krieg wurde gegen die Rheinpfalz und die norddeutschen Verbündeten des Pfälzers weitergeführt, die wiederum von König Christian IV. von Dänemark unterstützt wurden. Inzwischen hatte der Kaiser Wallenstein ein eigenes Heer aufbauen lassen und sich praktisch in ganz Norddeutschland durchgesetzt. Die Rückgabe aller seit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 evangelisch oder weltlich gewordenen Bistümer, Kirchen und Klöster ("Restitutionsedikt") sowie die Rückgewinnung kaiserlicher Macht nach dem Vorbild Karls V. verhinderte letztendlich ein französisch-schwedisches Bündnis. Im Jahre 1630 überschritt König Gustav II. Adolf von Schweden die Ostsee, um im Namen der evangelischen Sache den Kampf gegen den Kaiser und die Liga aufzunehmen und zugleich ein größeres Ostseereich aufzubauen. *40)

"Hinter Gustav Adolf und den deutschen Fürsten spielten die Franzosen ihr altes Spiel, den Krieg in Deutschland weiterglühen zu lassen." *41) Nach großen Schlachtensiegen der Schweden und ihrer Niederlage bei Nördlingen kamen in Prag 1635 Friedensverhandlungen zwischen Kaiser, Kursachsen und anderen Reichsständen in Gang. Frankreich verhinderte aber eine innerdeutsche Lösung, um den Kaiser weiter zu schwächen und die habsburgische Vormacht in Europa zu brechen. Konfessionelle Gründe spielten keine Rolle mehr. *42) Der Krieg wurde zu einem Krieg fremder Mächte gegen das Reich, die sich immer tiefer in seinen Körper hineinfraßen. Die Deutschen und selbst die deutschen Fürsten waren längst kriegsmüde. Ohne ausländische Eingriffe wäre wohl bald ein Friede zustande gekommen. Doch die französische Außenpolitik suchte die deutsche Zwietracht und Staatenwelt als Unterpfand der französischen Machtstellung in Europa zu erhalten. *43)

Der Krieg entglitt jeder Kontrolle. Söldnerbanden durchzogen das Land und hinterließen eine ungeheure Spur der Verwüstung. Planlos geführten Feldzügen waren da und dort Zufallserfolge beschieden. In der allgemeinen Erschöpfung spielten sie keine Rolle mehr. Keine der kriegführenden Parteien war imstande, einen militärisch entscheidenden Erfolg zu erringen. *44)

Erst 1648 kam es nach unsagbaren Verwüstungen Deutschlands in Osnabrück und Münster zum Friedensschluß. Dieser Westfälische Friede stellte ein ungeheures Dokument dar. Er war die "deutsche Verfassung" der nächsten Generationen und trug die Unterschriften der großen Mächte Europas, die so zu Garanten der deutschen Verfassungsordnung und Ohnmacht wurden. Der Friede wurde zum Reichsgrundgesetz erklärt und dadurch zum Freibrief für alle Einmischungen des Auslands. Das Deutsche Reich ging aus dem Westfälischen Frieden bewegungsunfähig hervor. Es löste sich zu einem lockeren Staatenverband. Obwohl es weder Sieger noch Besiegte gab, war das Heilige Römische Reich am Ende seiner Kraft und mußte diesen Frieden annehmen, der auch territoriale Bestimmungen enthielt: Metz, Toul, Verdun und das Elsaß gingen an Frankreich, Vorpommern, Bremen, Verden und Wismar an Schweden. Die Schweiz und die Niederlande schieden endgültig aus dem Reich. Geopolitisch von Bedeutung waren die Abtretungen der großen Flußmündungen Oder, Elbe Weser und Rhein an fremde Mächte. Sie kontrollierten Warenein- sowie -ausfuhr und konnten über ihre Brückenköpfe jederzeit in das Reichsinnere militärisch vordringen. Als zukunftsfähige Macht war das Reich erledigt. Mit der reinen Bewahrung war es nicht mehr getan. Was das Reich an Größe und bewahrenswürdiger Vergangenheit in sich schloß, mußte in Revolutionen neu erkämpft und erobert werden. *45)

"Die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges trugen dazu bei, die innere Wandlung des tschechischen wie des deutschen Volkes in den Sudetenländern zu beschleunigen. Die fremden Truppen - vor allem Sachsen und Schweden - aber auch Wallensteiner und Kroaten, die das Land abwechselnd besetzten und aussaugten, wurden nun als der eigentliche Feind angesehen. Die Erinnerung an den Weißen Berg schwand rasch dahin. Die Greuel der schwedischen Kriegsführung blieben lange im Gedächtnis der Menschen zurück. Der Schlafspruch

"Bet´s Kinder, bet´!
Draußen geht der Schwed,
Draußen geht der Oxenstern,
Der wird die Kinder beten lehr´n"

war bei den sudetendeutschen Bürgern und Bauern jener Jahre eine weit verbreitete Weise. Noch im 19. Jahrhundert erzählte man sich Geschichten von den Grausamkeiten der schwedischen Soldateska, berichtete man von dem grauenhaften "Schwedentrunk", da oder dort freilich auch von ähnlichen Mißhandlungen durch kaiserliche Truppen. Da die Schule und die religiöse Erziehung in der Hand der katholischen Geistlichkeit lagen, wurde selbstverständlich mehr über die Untaten protestantischer Heere als katholischer Truppen erzählt ..." *46)

"Der Dreißigjährige Krieg war nicht nur in seiner ersten Phase ein böhmischer Krieg. Das Land hat wie wenige andere unter den Plagen dieses großen Krieges gelitten. Kreuz und quer zogen die Heere von Freund und Feind durch die böhmischen Länder." *47) Durch Krieg, Hunger und Austreibung soll Böhmen 2/3 seiner Bewohner verloren haben. *48)

Eine der Folgen des gegenreformatorischen Sieges in Böhmen war die Vernichtung des niederen, protestantischen Adels, der überwiegend tschechischer Volkszugehörigkeit war. Aber auch im hohen Adel änderten sich Konfession und Herkunft. Nach dem Umsturz von 1620 kamen 21 ausländische herrschaftliche Häuser ins Land, 31 zwischen 1648 und 1750. Dieser neue Hofadel war kaiserlich und katholisch. Er kam ebenso aus Spanien und Italien, aus den Niederlanden wie aus den deutschen Erblanden. Der führende tschechische Historiker Pekar weist in seinem Buch über die Schlacht am Weißen Berg aber auch nach, daß das deutsche Element in Böhmen durch den habsburgischen Sieg genau so getroffen wurde wie das tschechische. Es handelte sich eben um einen Gegensatz zwischen Konfessionen und Staatsprinzipien, nicht um einen nationalen Gegensatz. *49)

Die Schäden des Dreißigjährigen Krieges können bis heute nicht annährend festgestellt werden. Neben großen Gebieten, die im Krieg verschont geblieben sind, gabt es andere, die mehrmals heimgesucht werden. Hier "verheerten" die Heere das Land im wahrsten Sinne des Wortes. Zwischen Freund und Feind gabt es keinen Unterschied. Im Kampfgeschehen selbst starben die wenigsten. Weitaus mehr Menschen, schätzungsweise ein Drittel der Bevölkerung, gingen als Opfer einer verrohten Soldateska an Seuchen und Hunger zugrunde. *50)


*38) vgl. Geiss, Imanuel: a.a.O., S. 180 f.
*39) vgl. Freund, Michael: a.a.O., S. 333 und Wagner, Wilhelm J.: a.a.O., S. 139
*40) vgl. Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen: a.a.O., S. 90 f.
*41) Freund, Micheal: a.a.O., S. 341
*42) vgl. Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen: a.a.O., S. 91 und Wagner, Wilhelm J.: a.a.O., S. 140
*43) vgl. Freund, Michael: a.a.O., S. 346 f.
*44) vgl. Wagner, Wilhelm J.: a.a.O., S. 140
*45) vgl. Freund, Michael: a.a.O., S. 349 ff. und Wagner, Wilhelm J.: a.a.O., S. 141
*46) Franzel, Emil: a.a.O., S. 148 f.
*47) ebd., S. 149
*48) vgl. Feund, Michael: a.a.O., S. 337
*49) vgl. Raschhofer, Hermann; Kimminich, Otto: Die Sudetenfrage - Ihre völkerrechtliche Entwicklung vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, 2. Aufl., ergänzt von Otto Kimminich, München 1988, S. 25 f.
*50) vgl. Wagner, Wilhelm J.: a.a.O., S. 141

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