Jan Hus und die Hussitenkriege (1419 - 1436)

Bis ins 15. Jahrhundert lebten Tschechen und Deutsche friedlich zusammen. Allerdings verkomplizierten sich die Beziehungen nicht zuletzt nach dem Aussterben der Przemyliden im Mannesstamm (1306). "Nach den üblichen Thronwirren bei einem Dynastiewechsel kam mit den Luxemburgern (1310) eine Dynastie aus dem deutsch-französischen Grenzraum nach Böhmen, die sogar mit Karl IV. (1347 - 78) die deutsche Königs-/römische Kaiserkrone erhielt, fortgesetzt unter Wenzel (1378 - 1400) und Sigismund (1410 - 37). Böhmen, erweitert um Schlesien (1327/35/48), wuchs so in die paradoxe Situation hinein, als nicht-deutsches Territorium gleichsam Hauptland des mittelalterlichen Deutschen Reichs zu werden, mit Prag als kaiserlicher Residenz- und heimlicher Reichshauptstadt. *30)

Das friedliche Nebeneinander endete, als Jan (bzw. Johannes) Hus zunehmend Kritik an der Kirche übte und in Prag die strenge Tugend predigte. Nachdem er gegen die Modenarrheiten eiferte, hatte er fast das ganze Volk und die Bader, Schuster, Hutmacher, Goldschmiede, Weinhändler sowie Wirte gegen sich aufgebracht. Andererseits wurden bei den Slawen Vorbehalte gegen die Oberschicht im allgemeinen und gegen die Deutschen im besonderen wach. Die katholische Geschichtsschreibung weiß so gut wie die evangelische, daß es zahlreiche Mißstände in den Kirchen und Klöstern gab (vergnügungssüchtige Pfarrer, Ablaßhandel). Doch Hus beschrieb die Kirche nach ihren unwürdigsten Vertretern, nie ein tauglicher Versuch, das gerechte Bild einer Klasse, einer Einrichtung, eines Standes und einer Nation zu zeichnen. Er behauptete, nichts als die Unzucht anzuprangern, aber oft weiß man nicht, ob er die großen Herren anklagt, weil sie Deutsche sind oder die Deutschen, weil sie die hohen Herren sind. *31)

Zum ersten Mal spielten beim Aufbegehren der Bevölkerung nationale Parolen eine Rolle. Die Prager Universität war in vier "Nationen" gegliedert: Die bayerische, die sächsische, die polnische und die böhmische. Trotz des Übergewichts tschechischer Studenten wurde die Universität von einer Mehrheit deutscher Lehrer geleitet. Im Kuttenberger Dekret änderte König Wenzel 1409 unter böhmischem Druck die Mehrheitsverhältnisse zugunsten Böhmens und setzte einen Exodus an der Prager Universität in Gang. Rund 60 deutsche Lehrer und annähernd 1000 deutsche Studenten verließen die Stadt. Die nationalen Spannungen an der Universität wurden dadurch zwar verringert, aber die im Volk verbreitete antiklerikale Stimmung blieb. Hohe Kirchenämter waren nach wie vor von Deutschen besetzt. Gegen sie richtete sich nun der geballte Zorn. *32)

Es kam zu Ausschreitungen der Hus-Anhänger und der nationale Gegensatz tat sich auf. Deutsch waren die Richter, deutsch die Henker und deutsch die Bewaffneten, die den Richtplatz absperrten. Prag wurde zum Hexenkessel. Der König drohte mit der Blutjustitz fortzufahren. Wenn die Scharfrichter nicht ausreichten, dann wolle man Henker von auswärts kommen lassen. Radikale Kräfte drängten nach oben. Der Haß der dumpfen Masse gegen alle Bildung und Kunst kam zum Ausdruck. Die Revolutionsredner predigten, daß die Philosophie heidnisch sei und die Medizin verwerflich, da sie nur dem unkeuschen Körper diene. Durch Fremdsprachen sei das einfache Volk nur leichter zu betrügen. Die Universität mit ihrer Gelehrsamkeit und ihrer Würde sei eine Stätte des Teufels, Schönheit und Kunst schmeichelten nur der menschlichen Eitelkeit, Orgeln und Gesang lenkten von der Aufnahme des Gotteswortes ab, alle Bilder und Statuen wären unreiner Gottesdienst und sollten zerstört werden. *33)

Hus wurde 1415 vor ein kirchliches Konzil in Konstanz geladen. Weil er den Widerruf seiner Lehren ablehnte, wurde er auf dem Scheiterhaufen als Ketzer verbrannt. Doch die hussitische Revolution ging im Untergrund weiter, um 1419 in einen offenen Aufstand zu münden. Am 30. Juni stürmten radikale Hus-Anhänger das Prager Rathaus und warfen einige Ratsherren aus dem Fenster. Dieser "Erste Prager Fenstersturz" bildete den Auftakt zu mehreren Kriegen, in denen die Hussiten bis 1436 verwüstend durch Schlesien, Oberungarn, Österreich, die Oberpfalz, Franken, die Marken Meißen sowie Brandenburg zogen. Unter der Bevölkerung von Deutsch-Brod und Prachatitz richteten sie ein furchtbares Gemetzel an. Mit den Böhmisch-Mährischen Brüdern bildete sich die erste Nationalkirche Europas. Auf dem Basler Konzil wurde schließlich ein Kompromiß gefunden, mit dem sich die Mehrheit der Böhmen zufriedengab. Die Radikalen (Taboriten) wurden 1434 durch eine Koalition von gemäßigten Utraquisten mit altkirchlichen Katholiken bei Böhmisch Brod besiegt. *34)

Hus hatte das Signal zu der blutigsten Deutschenverfolgung gegeben, die Böhmen jemals gesehen hatte. Es war dieser plötzlich hervorbrechende Deutschenhaß, der die Deutschen hinderte, sich dieser Reformation anzuschließen. Die zahlreichen deutschen Sprachinseln im Innern wurden fast alle in einem Rausch des Mordens und Brennens vernichtet und erstanden in den meisten Fällen auch in den folgenden Jahrhunderten nicht wieder. Das Deutschtum zog sich auf die Ränder Böhmens zurück, wo es geschlossene Gebiete bildete, in die der Tschechensturm nicht einbrechen konnte. *35)


*30) vgl. Geiss, Imanuel: Geschichte griffbereit, Band 5: Staaten - die nationale Dimension der Weltgeschichte, Hamburg 1987, S. 180
*31) vgl. Freund, Michael: Deutsche Geschichte, München 1985, S. 250 f.
*32) Wagner, Wilhelm: a.a.=., S. 119
*33) vgl. Freund, Michael: a.a.O., S. 250 f. und Habel, Fritz-Peter. Die Sudetendeutschen, a.a.O., S. 19
*34) vgl. Franzel, Emil: a.a.O., S. 123 und Geiss, Imanuel: a.a.O., S. 180 und Wagner, Wilhelm J.: a.a.O., S. 119
*35) vgl. Schreiber, Hermann: Land im Osten - Verheißung und Verhängnis der Deutschen, Augsburg 1995, S. 209 f.

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