Der erste Weltkrieg

Am 28. Juni 1914 ermordete Gavrilo Proncip den k.u.k. Thronfolger und Generalinspektor der österreichisch-ungarischen Armee Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich und dessen Gemahlin, Herzogin Sophie von Hohenberg, in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo. Damit fiel der einflußreichste Verteter eines friedlichen Ausgleich mit den Südslawen des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn. Hinter Proncip, einem bosnischen Studenten serbischer Nationalität, steht die radikale serbische Geheimorganisation "Vereinigung durch Tod" beziehungsweise "Schwarze Hand". Wien mußte entscheiden, ob der Anschlag als Tat eines Einzelgängers oder als serbischer Angriff anzusehen ist. Offiziell verabscheuten die politischen Kreise Europas die Tat und erwarteten eine rasche Vergeltung. Nur der Erniedrigung Serbiens zu einem österreichischen Vasallenstaat, wie man es in Wien plante, wollten sie nicht zustimmen. Das Deutsche Reich andererseits erklärte am 6. Juli 1914 gegenüber Österreich-Ungarn: "Kaiser Franz Joseph I. könne sich darauf verlassen, daß Seine Majestät [Kaiser Wilhelm II.] im Einklang mit seinen Bündnispflichten und seiner alten Freundschaft treu an der Seite Österreich-Ungarns stehen werde." Nach langem Zögern und einem Ultimatum erklärte Österreich am 28. Juli 1914 Serbien den Krieg und die Automatik der Bündnisse begann zu arbeiten. Bis zum 4. August befanden sich Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich einerseits sowie Serbien, Rußland, Frankreich und Großbritannien andererseits im Krieg. In den nächsten 4 Jahren traten auf beiden Seiten weitere Länder hinzu. Die Schuld am Ausbruch des Krieges verteilte sich auf die Führungen der einzelnen Mächte. *70)

Führende tschechische Politiker, die gegen die Sudetendeutschen eingestellt waren, begaben sich bei Kriegsbeginn in die Vereinigten Staaten. Allen voran Thomas G. Masaryk (1914) und sein enger Mitarbeiter Edvard Benesch (1915), wo ein tschechischer Nationalrat gegründet wurde. Diesem schlossen sich am 30. Mai 1918 in Pittsburgh mit Abschluß eines Vertrages auch die antiungarischen Exilslowaken an, denen versprochen wurde, daß die Slowakei als Gliedstaat in einer künftigen tschechoslowakischen Republik Autonomie erhalten würde.*71)

Die tschechoslowakische Auslandsorganisation des Ersten Weltkriegs hat mit der Behauptung operiert, das tschechische Volk in der Heimat habe vom ersten Tag des Krieges an geschlossen eine feindselige Haltung gegen Österreich-Ungarn eingenommen und sich zum Ziel der staatlichen Unabhängigkeit bekannt. Sie hat damit die Rechtsfiktion einer tschechoslowakischen Kriegsführung gegen die Mittelmächte verbunden. *72) In Wirklichkeit trat nur ein Teil der tschechischen Truppenverbände in Galizien zu den Russen über. Zu Kriegsbeginn und selbst bis 1918 war die Mehrheit der Tschechen mehr oder wenig willig loyal, erfüllte ihre Pflicht und kämpfte auf Seiten der Mittelmächte. *73)

Der Behauptung der Exiltschechen widerspricht auch die Subbeilage 2 zur Denkschrift der österreichischen Delegation in St. Germain. Es handelt sich dabei um eine Eingabe des tschechischen Verbandes durch StanÆ k, Smeral und Maë tálka vom 24. Jänner 1917 an den damaligen Minister des Äußeren Czernin und den Ministerpräsidenten. Im folgenden Auszüge:

"Euer Exzellenz!

Die mit unserer Monarchie im Kriege befindlichen Staaten haben auf die Aufforderung des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika hin, ihre Kriegsziele zu nennen, unter anderem auch die "Befreiung der Tschechen von der Fremdherrschaft" als eines der Ziele bezeichnet, das sie durch Waffengewalt erreichen wollen ...

Mag auch die tschechische Politik ... genötigt gewesen sein, eine Reihe von Beschwerden, Wünschen und Forderungen in bezug auf Neuregelung der staatlichen und politischen Rechte des tschechischen Volkes sowie seiner sprachlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Interessen zu äußern, so kann doch in der politischen Geschichte kein Fall festgestellt werden, in dem die politisch verantwortlichen tschechischen Körperschaften im Gegensatze mit der Treue zur Monarchie und mit der Ergebenheit für den legitimen Erben der böhmischen Krone sich befunden hätten. Niemals hat sich im tschechischen Volk etwas ereignet, was das Ausland berechtigen würde, daran zu zweifeln, daß das Volk unverbrüchlich entschlossen ist, auf die Erfüllung seiner Forderungen auf andere Art hinzuarbeiten als auf dem Boden des mächtigen Reiches, das es im Jahre 1526 durch freie Wahl Ferdinands I. begründete und das es durch Jahrhunderte unter dem Zepter der legitimen Dynastie Habsburgs mit aufbaute ...

Das tschechische Volk hat seine unverbrüchliche Treue zum Throne in den überaus schweren Monaten des Weltkrieges durch große Opfer an Gut und Blut erwiesen und wurde in dieser Beziehung von keinem österreichischen Volke in den Schatten gestellt.

Wir wollen ... unserem Monarchen versichern, daß wir ihm und seinem Nachkommen treu bleiben werden, daß wir, den Rechten unseres Volkes nachstrebend, immer gleichzeitig das Interesse der habsburgischen Dynastie und des Reiches zu erreichen suchen wollen, daß wir treu dem König und dem Staate anhänglich sind und daß die Beschwerden, die wir - wann immer - erhoben haben oder gegen die jetzigen Verhältnisse des tschechischen Volkes erheben, niemals unseren Glauben wankend gemacht haben, daß wir nach siegreicher Beendigung des Weltkampfes im Rahmen der Monarchie und unter dem Zepter der habsburgischen Dynastie die Erfüllung aller Rechte des tschechischen Volkes erreichen werden ...

Wir bitten Euer Exzellenz, ... unseren prinzipiell ablehnenden Standpunkt gegenüber der einschlägigen Stelle der Ententenote nach Gutdünken Euer Exzellenz auch der Öffentlichkeit bekanntzugeben. Wir benutzen diesen Anlaß, um den Ausdruck unserer vorzüglichen Hochachtung für Euer Exzellenz zu erneuern." *74)

Auch wenn Beneë unbestreitbar bei der Entente diplomatische Erfolge erzielte, so ist seine Behauptung, daß die tschechische Frage ein internationales Problem sei, das sich nicht mehr innerhalb des Habsburgerreiches auf innenpolitischem Weg lösen lasse, seine persönliche Ansicht. Noch im Sommer 1918 ist Beneë von Balfour die Reaktion des tschechischen Verbandes in der Heimat vorgehalten worden. *75)

1917 wollte Kaiser Karl I. die Verfassung reformieren. Zu den Schwierigkeiten in der österreichischen Reichshälfte, wo Deutsche und Tschechen seit Jahrzehnten abwechselnd Reformvorschläge der anderen Seite ablehnten, stieß er auf Widerstand aus der ungarischen Reichshälfte. Die Magyaren lehnten jede Verfassungsreform ab, die auch Ungarn einschloß. Andererseits waren Tschechen und Kroaten nur zu gewinnen, wenn die Verfassungsreform auch diesen Landesteil betraf und den Slowaken wie den Südslawen Ungarns die Selbstverwaltung sicherte. Noch vor Kriegsende glaubte Kaiser Karl, sich und Österreich retten zu können, wenn er sich auf Gedeih und Verderb der deutschen Politik verschrieb. Durch kaiserliche Verordnung wurde eine Kreis-einteilung für Böhmen geschaffen, die eine Trennung nach nationalen Grenzen vorsah. Sie ist jedoch nicht mehr in Kraft getreten. *76

Mit der Verkündung von Vierzehn Punkten zur Beilegung des Krieges am 8. Januar 1918 griff der amerikanische Präsident Wilson in die inneren Angelegenheiten Österreich-Ungarns ein. Die Vierzehn Punkte waren geleitet vom Selbsbestimmungsrecht der Völker und beinhalteten:

Am 6. Oktober 1918 hatten die deutschen Abgeordneten des österreichischen Reichsrates proklamiert: "Wir erkennen das Selbstbestimmungsrecht der slawischen und romanischen Nationen an und nehmen das gleiche Recht für das deutsche Volk Österreichs in Anspruch" *78) . Kaiser Karl ergriff erst in der Endphase des Krieges Initiativen, um dem Zerfall entgegenzuwirken, so wurde z.B. den Deutschen die Gründung eigener Provinzen versprochen. Am 16. Oktober 1918 erklärte er sich in seinem Manisfest "An meine getreuen österreichischen Völker" zur Annahme des Prinzips der nationalen Selbstbestimmung bereit. Die Monarchie sollte in einen Nationalitäten-Bundesstaat umgeformt werden *79), in dem jeder Volksstamm auf seinem Siedlungsgebiet sein eigenes Nationalwesen bilden sollte. In einem der Entwürfe für das Manifest waren Deutsch-Böhmen und die deutschen Erbländer als staatsrechtliche Einheit, als einer der geplanten Bundesstaaten, aufgeführt. *80)

Doch am 18. Oktober 1918 verkündete Masaryk in Philadelphia die tschechoslowakische Unabhängigkeit. In der Erklärung hieß es u.a.: "Die Rechte der Minderheit sollen durch verhältnismäßige Vertretung gewahrt werden, nationale Minderheiten sollen gleiche Rechte genießen. *81) Die deutschösterreichische Nationalversammlung (worunter man zunächst die Vereinigung aller deutschen Abgeordneten des k. k. Reichsrates, daher auch der Sudetendeutschen, verstand) beschloß dagegen am 21. Oktober die Bildung eines deutschösterreichischen Staates, der die Sudetendeutschen mit umfassen sollte. Eine Verständigung mit den anderen auf dem Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie entstehenden Staaten war beabsichtigt, im übrigen wurde für Österreich ein Zugang zum Meer gefordert: *82) "Der deutsch-österreichische Staat beansprucht die Gewalt über das deutsche Siedlungsgebiet Österreichs, insbesondere in den Sudetenländern." Als deutschösterreichische Provinzen wurden "Deutschböhmen" (Egerland und Nordböhmen) und "Sudetenland" (Nordmähren mit dem westlichen Österreichisch-Schlesien) gebildet, während die Kreise Deutschsüdböhmens an Oberösterreich und Deutschsüdmährens an Niederösterreich angeschlossen wurden. *83)


*70) vgl. Wagner, Wilhelm J. a.a.O., S. 260 und Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen: a.a.O., S. 146
*71) vgl. Veiter, Theodor: a.a.O., S. 26 ff.
*72) vgl. Raschhofer, Hermann; Kimminich, Otto: a.a.O., S. 34
*73) vgl. Veiter, Theodor: a.a.O., S. 25 ff.
*74) Raschhofer, Hermann; Kimminich, Otto: a.a.O., S. 44 f.
*75) vgl. ebd., S. 53
*76) Franzel, Emil. a.a.O., S. 305 f.
*77) vgl. Knder, H; Hilgemann, W.: dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Band 2: Von der französischen Revolution bis zur Gegenwart, 22. Auflage, München 1987, S. 156
*78) Böse, Okar, Eibicht, Rolf-Josef: Die Sudetendeutschen - Eine Volksgruppe im Herzen Europas 1848 - 1988, München 1989, S. 43 ff.
*79) vgl. Habel, Fritz-Peter: Die Sudetendeutschen, a.a.O., S. 29
*80) vgl. Raschhofer, Hermann; Kimminich, Otto: a.a.O., S. 102
*81) vgl. Böse, Oskar; Eibicht, Rolf-Josef: a.a.O., S. 43
*82) vgl. Raschhofer, Hermann; Kimminich, Otto: a.a.O., S. 102
*83) vgl. Böse, Oskar; Eibicht, Rolf-Josef: a.a.O., S. 43 f.

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